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Rundbrief Januar 2020

Vom Positiven des Negativen

Margarethe Randow-Tesch

Denk positiv, lautet eine gängige Devise, nicht nur in spirituellen Kreisen. Negativ denken hat einen schlechten Ruf. Sofort stehen uns die unleidlichen Pessimisten vor Augen, die ewigen Nörgler, die das Glas bekanntlich als halbleer bejammern, während man es doch genauso gut als halbvoll sehen könnte.

Seltsamerweise scheint sich selbst der Heilige Geist in den Seiten zu irren, denn er favorisiert im Kurs einen negativen Ansatz: Er möchte als Erstes, dass wir unser Elend aufrichtig zur Kenntnis nehmen als Voraussetzung dafür, dass wir eine echte Lernmotivation haben, um die Wahrheit in uns freizulegen (T-4VI.5.; T-14.II.1:2-3). Auch das Wunder, das dem Buch seinen Namen gibt, wird im Kurs nicht als positiver Akt definiert, sondern als Aufheben der Egofantasien, die das Liebevolle in uns beeinträchtigen. Es fügt nichts hinzu, sondern nimmt nur weg (T-28.I.2:4). Dasselbe gilt für das Annehmen der Erlösung: Es ist das glückliche Eingeständnis, wie sehr wir uns irren! (Ü-I.184.15:4; T-30.I.9:2).

Negatives Denken in diesem Sinne ist kein Schwelgen im Klagen und Jammern, sondern das notwendige Durchdringen des Scheins. Insofern ist es alles andere als negativ, sondern positiv! Dass dieser Prozess Unbehagen auslöst, wird in folgendem Zitat überdeutlich: »Viele von denen, welche Gewalt, Hass und Selbstsucht verabscheuen, sind naiv. Sie brauchen den Glauben an das >Gutsein< eines jeden Menschen, um den Glauben an sich nicht ganz zu verlieren. Ihr Glaube an die positiven Möglichkeiten des Menschen ist so schwach, dass sie vor der Hässlichkeit und Boshaftigkeit ... die Augen schließen müssen ... Der Glaube an das Leben, an sich selbst, an andere, muss auf dem harten Felsen der Realität gründen, das heißt, auf die Fähigkeit, Schlechtes dort zu sehen, wo es ist«, schrieb Erich Fromm in seinem Buch Vom Haben zum Sein (S.33, Ullstein 1996). Oder mit den Worten des Kurses ausgedrückt: »Wie ließe sich diese Bereitschaft [das Ego wirklich infrage zu stellen] anders als durch den Anblick deines ganzen Elends und das Bewusstsein erlangen, dass dein Plan [mit der Besonderheit glücklich zu werden] gescheitert ist und ewig scheitern wird, dir Frieden und Freude irgendeiner Art zu bringen?« (T-24.II.14:2).

An einer Stelle des Textbuchs heißt es, dass wir, um zur wahren Schönheit unseres Geistes zu finden, an der Hand des Heiligen Geistes vertrauensvoll durch den Kreis der Angst in unserem Innern gehen müssen, den wir für die Wahrheit halten. Das bedeutet auf der Ebene der praktischen Erfahrung, dass uns die Negativität des Ego immer mehr aufgeht. An diesem Punkt ist die Versuchung groß, unser selbstgemachtes Bild nicht weiter zu betrachten, sondern lieber wegzuschauen: »Du bist ernstlich versucht, ihn [den Heiligen Geist] am äußeren Ring der Angst zu verlassen, er aber möchte dich sicher dort hindurch und weit darüber hinaus führen« (T-18.IX.3:9).

Warum möchten wir alles lieber gleich im positiven Licht sehen? Warum löst das Anschauen des Negativen soviel Widerstand aus? Widerstand hat bekanntlich mit Angst zu tun. Zum Einen erinnert uns alles Negative auf einer sehr unbewussten Ebene an die ungeheuerliche negative Entscheidung gegen die Liebe Gottes, mit der wir uns, zumindest aus der Warte des Ego betrachtet, aus der Liebe herauskatapultiert und in den Zustand der Besonderheit versetzt haben. Die Schuld darüber ist immens und wird vom Ego zu seiner eigenen Erhaltung ständig befeuert. Wir glauben bereits, eine mächtige, negative Identität zu haben, und der Gedanke daran ist so quälend, dass wir versuchen, uns möglichst das Gegenteil zu beweisen. Warum sonst würden wir versuchen, mit unserem Leiden selber fertigzuwerden, indem wir mit unterschiedlichsten Mitteln, und leider nicht selten unter dem Deckmantel der Spiritualität, den ganzen Terror des Egodenksystems zudecken oder uns auf die Position der Ohnmacht zurückziehen? Zum anderen aber wird mit dem aufrichtigen Bewusstwerden des Ego das notwendige Unbehagen geweckt, das den Keim zu seiner Auflösung legt, und das macht dem Teil in uns Angst, der die Besonderheit nach wie vor will.

»Wahres Aufheben aber muss gütig sein«, heißt es im Kurs tröstend (T-27.III.4:7). Es wird niemandem aufgezwungen. Wir werden nur um kleine Schritte gebeten, die wir problemlos verstehen können, und das in einem Tempo, das wir selbst bestimmen, ohne Hast und Eile. Und dazu gehört dieser: »Die Heilung deines Bruders als die Heilung deiner selbst wahrzunehmen ist ... der Weg, dich an Gott zu erinnern« (T-12.II.2:9). Hier ist der barmherzige Blick auf die Welt angesprochen, der Fehler sieht, aber so fest im Vertrauen auf das Wahre steht, dass er nichts und niemanden anzugreifen braucht.

Vielleicht sollten wir uns in diesem Zusammenhang auch an das Prinzip erinnern, dass Gleiches mit Gleichem geheilt werden muss. Die Kraft des Negativen wird zu unserer größten positiven Kraft, wenn wir sie auf das Ego richten. Das ist im Kurs mit dem Satz gemeint, dass es zur Aufgabe des Wunderwirkenden [derjenigen, die vergeben lernen möchten] wird, die Verleugnung der Wahrheit zu leugnen (T-12.II.1:5). Wieder sind wir beim Negativen, diesmal sogar bei einer doppelten Negation. Die Verleugnung der Wahrheit der Liebe drückt sich in Form von Egoimpulsen in uns und anderen aus. Was sonst sollte uns im Alltag erwarten? Leugnen im Sinne des Kurses bedeutet nicht, zu verdrängen, beschönigen oder was auch immer, sondern innerlich friedlich nein zu unserem eigenen Ego zu sagen und erst dann zu handeln – ohne Haltung des Besserwissens, Hasses oder Kampfes. Das ist wohlgemerkt ein Prozess, und es ist kein Meister vom Himmel gefallen. Das alles ist nicht leicht und der Widerstand dagegen groß. Doch so wird der Glaube an die winzig kleine Wahnidee geheilt, der wir Macht über unsere Größe gegeben haben, und mit ihm der Glaube an Schuld. An einer bedenkenswerten Stelle des Kurses heißt es: »Wen gibt es, der nicht wünschte, frei von Schmerz zu sein? Vielleicht hat er noch nicht gelernt, wie Schuld gegen Unschuld einzutauschen ist, und begreift vielleicht noch nicht, dass ihm nur in diesem Tausch Freiheit von Schmerz zuteilwerden kann. Doch brauchen jene, die beim Lernen versagt haben, Unterweisung [in Form von Barmherzigkeit] und nicht Angriff. Die anzugreifen, die Unterweisung brauchen, heißt, dass du nicht von ihnen lernst« (T-14.V.5:5-8).

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